Renata Palekcic Pasel

Janine Eggert und Renata Palekcic:
Der Rest ist Magic


Wenn Hochglanz-Oberflächen auf Recycling-Papier treffen, Auto-Tuning auf Natur-Anmutungen, Maschinen-Ästhetik auf Organisch-Rankendes und aus dieser Begegnung ein fruchtbarer Dialog entsteht, dann ist der Rest „Magic“. Die Dinge laufen wie von selbst, formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede verweben sich zu vielen möglichen Pfaden, auf welchen man sich durch die Doppelausstellung von Janine Eggert und Renata Palekcic tragen lassen kann. Wegweisend sind dabei die Wiederholungen in Form verschiedener Ornamente, die sich durch das Schaffen beider Künstlerinnen ziehen und den Bogen über die formale Musterbildung hin zu Denkmustern spannen.

Abstrakt sind die Muster in den amorphen Papier-Objekten von Renata Palekcic. Die in Hamburg lebende Künstlerin verwandelt das zweidimensionale Material Papier durch den intuitiv-repetitiven Vorgang des Schneidens in dreidimensionale, raumgreifende Skulpturen. In der Arbeit „Past Time Paradise II“ sind rund 100 einzelne Bahnen, freischwebenden Säulen oder einem Wald von Schlingpflanzen ähnlich, im Raum positioniert. Die Leichtigkeit des Materials findet seinen Widerhall allerdings nicht nur in der scheinbaren Schwerelosigkeit, sondern darüber hinaus in der Öffnung der Papierkörper zum Raum hin. Durchblicke durch die Objekte entstehen durch die gleichmäßig gesetzten Schnitte, welche auch die je spezifische Form der Objekte bedingt und sich darüber hinaus als Muster lesen lässt. Weitere Ein-, Aus- und Durchblicke ergeben sich durch die Anordnung der Papierkörper zueinander und die Möglichkeit, sich physisch um sie herum und durch sie hindurch zu bewegen. Das Spiel mit Bewegung, flexiblen Standpunkten und den ebenfalls flexiblen Eigenschaften des Materials betreiben auch die „Wandarbeiten“ von Renata Palekcic. Sie passen sich ebenfalls den ortsspezifischen Gegebenheiten an, wachsen an den Wänden empor, schmiegen sich in Ecken und wuchern in den Raum hinein. Die zurückgenommene Farbigkeit und die fließenden Linien lassen bei der Betrachtung Raum für vielfache Assoziationen an Kletterpflanzen, Moose, pilzartige Gewächse oder sanft wogenden Seetang. Wie durch ein Mikroskop gesehen begegnen sie uns hier in Größenverhältnissen, die unseren eigenen angepasst sind. Mikro und Makro geraten ins Wanken und unser meist anthropozentrisch geprägtes Weltbild gleich mit.

Die fragilen, natürlich anmutenden Gebilde treten in spannungsreichen Austausch mit den knallig bunten, technoiden Arbeiten von Janine Eggert. Die glänzenden Oberflächen und geometrischen Formen nehmen das Thema des Musters und der Wiederholung auf und führen sie weiter. Statt intuitiv-abstrakter sind es nun geometrische Formen, die sich mathematisch berechnen lassen. In der Installation „Abstraktion x Einfühlung“ handelt es sich zum Beispiel um sogenannte „Rotations-Symmetrie“. Seltsam mag einem erscheinen, dass die Objekte so merkwürdig bekannt anmuten. Es handelt sich um ein Ornament der Alltagswelt, um Abgüsse von Auto-Felgen, insbesondere solcher von Sportwagen. Das aggressiv-schnittige Design wird durch den Materialtransfer in Glasfaser und Epoxidharz und die fröhlich verspielte Farbigkeit seinem ursprünglichen Kontext enthoben, die Form als solche wird durch die Umgestaltung freigestellt und das Fetisch-Objekt einer klischeehaft nach wie vor männlich dominierten Auto-Tuning-Szene offen für eine neue semantische Besetzung. Eine eingefahrene Weltsicht wird auch hier auf den Prüfstand gestellt. Dass gerade dieses Ornament dabei zutiefst emotional aufgeladen ist, darauf verweist der Titel der Installation. „Abstraktion x Einfühlung“ entlehnt sich der 1907 erschienen Publikation des Kunsthistorikers Wilhelm Worringer. Dieser sah die Entwicklung von Kunst als jeweils abhängig von der emotionalen Verfasstheit einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt – die emotionale Komponente wird dabei verstärkt durch das x, welches das „und“ des Original-Titels ersetzt und in Fashion-Kollaborationen eine Multiplikation der Begierde erzeugt.

Das Spiel mit Kontext-Verschiebungen führt Janine Eggert in weiteren Einzelarbeiten fort, hinsichtlich derer sich wiederum vielfältige Bezüge zur Automobil- und Maschinenindustrie herstellen lassen. Und auch hier überrascht die Schönheit einer in ihrer Größe gesteigerten Zylinderkopf-Dichtung, welche in leuchtenden Farben eher an ein Schmuckstück oder eine Skulptur erinnert. Die intensive Farbigkeit findet ihren Widerhall in den Airbrush-Bildern von Renata Palekcic, die dreidimensionalen Objekte erhalten hier ein zweidimensionales Pendant, dem Thema der Wiederholung wird eine weitere Komponente hinzugefügt und ein erneuter Perspektivwechsel kommt zum Tragen. Blickt man nach den wogenden Farben dieser Bilder zurück zu Janine Eggerts „Abstraktion x Einfühlung“, so lässt sich spätestens an dieser Stelle die Magie nachempfinden, die im Ausstellungstitel anklingt: der Zwischenraum wird von neuen Bezügen aufgefüllt, die geometrischen Ornamente erhalten plötzlich ebenso florale Qualitäten. Die bunten Felgen präsentieren sich dann als bunte Blumen-Arrangements, deren verspielte Farbverläufe jegliche Klischees ad absurdum führen. Die Emotionen kippen in der Folge vom konstruierten Industrie-Ambiente der technoiden Objekte zur Ruhe und Ausgewogenheit des Organisch-Natürlichen und zurück. Denkmuster lassen sich, dies wird im Dialog der beiden künstlerischen Positionen deutlich, manchmal bereits durch eine Verschiebung der

(Anne Simone Krüger, 2022)

1) Gemeint sind damit geometrische Figuren, welche durch die Drehung um einen festen Punkt und in einem festen Winkel auf sich selbst abgebildet werden können.
2) Vgl. Wilhelm Worringer: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. Mit einer Einleitung von Claudia Öhlschläger. Hrsg. Helga Grebing. München 2007.