Renata Palekcic Pasel

Flucht in die Sachwerte

Alle Welt schwafelt von der Flucht in die Sachwerte.
Auch diese Ausstellung umspielt diese Problematik.
Hier konzentrieren sich 18 Leute auf die Sachwerte selbst. Diese Ausstellung
ist nur der Abschluss einer etwa 10 tägigen Zusammenarbeit, es ging dabei
nicht um die Ausstellung als Ziel, sondern während des Aufbaus um die
Auseinandersetzung mit den Sachen (und mit den Kollegen).
Die Verhältnisse stehen ja bekanntlich schon seit Ewigkeiten auf dem Kopf,
und auch in Zeiten wie diesen, wird sich daran vermutlich wieder einmal
nichts ändern, aber die Idiotie, der man sich Alltäglich ausgesetzt sieht, wird
offensichtlich oder zumindest täglich durch die Medien thematisiert, so dass
man ohne weiteres ein Projekt wie das "Hotel Particulier" forcieren kann und
sich, zumindest in den Rahmen des Projekts, einmal keine Gedanken um die
Würdeformeln des Betriebs machen muss.
Diese Würdeformeln verschlingen in anderen Zusammenhängen viel Zeit und
Hirn – und Geld, ja, natürlich auch Geld.

Ich erläutere jetzt mal diese Würdeformeln, um die hier bei diesem Projekt ein Bogen gemacht wurde, soweit das überhaupt möglich ist:

1. Gerade war ich in Basel auf der Messe, der Manifestation der verdrehten aber funktionierenden Geld- oder Kunstmarktwelt ausgesetzt. Dort ergibt sich folgende, allein dem Geld und den Abschreibungssummen geschuldete
Herrschaftspyramide. An der Spitze stehen die größten Privatsammler,
gefolgt von den Weltweit führenden Museen, dann kommen die kleineren
Sammler, die kleineren Museen und Firmensammlungen, wie die der
Deutschen Bank etc. Irgendwo dazwischen, je nach Einfluss, die Messechefs.
Dann kommt eine Weile gar nichts und dann das bereits prekär arbeitende
Volk der Kunstvereinsdirektoren samt Mitarbeitern in lustigem Durcheinander
mit Menschen die immer mal Kunst kaufen, ohne dass sie diese Ankäufe als
Sammlung bezeichnen würden. An jeder Ebene dieser nur nach investiertem
Geld gestaffelten Menschenmenge sitzt wiederum eine Traube genau
passender Galerien. Das war es eigentlich, denn Künstler kommen auf einer Messe nicht vor. Und wenn doch, nur als Deko.

2. In dieser Kunst-Geldpyramide hat sich seit jeher ein bestimmtes System
etablieren können, was in den letzten Jahren aber – und es gibt verschiedene
Möglichkeiten das zu erklären – noch mal Auftrieb erhalten hat. Es handelt
sich dabei um den Handel mit „Wichtigtuerei“. Verstärkt wurde dieser Handel in den letzten 25 Jahren

a) durch die schiere Masse an bildenden Künstlern, Galerien und
Projekträumen (soviele wie jetzt gab es noch nie).

b) durch das erschienen immer neuer und immer mehr Kunstzeitschriften und
Kataloge, was wiederum etwas mit den massiv gesunkenen
Produktionskosten solcher Druckerzeugnisse zu tun hat.
Und

c) durch die Globalisierung des Kunstmarktes, die wildernden Großsammler
und den neuen Sport mit Kunst zu spekulieren.

Die „Wichtigtuerei“ setzt ein kompliziertes Spiel von Teils amüsanten, Teils
ermüdenden aber unbedingt zu beachtenden Verfahrensweisen in Gang, und
wenn man sie nicht beachtet, wie hier heute Nachmittag, wird man – logisch – nicht wahrgenommen. (Ein Grund weshalb diese Ausstellung doch wahrgenommen wird, liegt schlicht an der Bündelung von 18 beteiligten Personen.) Würde man eine solche Ausstellung wie diese in einem Galerieraum oder in einem Kunstverein realisieren, hätte man es der „Wichtigtuerei“ folgend automatisch mit außerordentlich verzwickten Presseerklärungen zu tun und ein Artists-Talk wäre nicht abzuwenden. Man würde sich dann darüber unterhalten müssen, dass diese Ausstellung ein überaus origineller Schachzug gegenüber dem Establishment ist. WOW! Die Aufbauzeit ist wichtiger als die Ausstellung und die Beteiligten kümmern sich gar nicht um die Würde des Ortes und auch nicht um das Publikum, und wie hintergründig es gibt kein Konzept. Und was das jetzt für ein Licht auf die Institutionen wirft und bla bla bla. Entscheidend beim Austausch von „Wichtigtuereien“ ist immer der Modellcharakter, Konzepte und Presseerklärungen entstehen ja sehr viel früher als die Ausstellungen realisiert werden, es sind also Modelle und in 100% aller Fälle besteht eine naive Annahme, dass das Modell irgendetwas mit der Realität zu tun haben könnte. Was aber nicht der Fall ist. An diesem Punkt gleichen sich die Komplikationen der Kunstwelt mit denen der Finanzwelt, auch dort geht man stets von Modellen aus, die der sich entfaltenden Realität nicht sehr ähnlich sehen. Das vertrackt widerspenstige und irrationale der Realität lässt sich schlecht errechnen auch nicht von Nobelpreisträgern, genauso wenig wie die lose Zusammenarbeit von 18 Künstlerinnen im vorhinein klar einzuschätzen ist.
Trotzdem, und obwohl alle wissen dass es nichts mit den Ausstellungen zu
tun hat, hat der Handel mit „Wichtigtuerei“ einen enorm hohen Stellenwert,
denn es geht um Signale für die Zukunft. Journalisten, Kunstkritiker,
Museums- Kunstvereinsleute, Kuratoren, Galeristen und Künstler selbst,
signalisieren sich über diese „Wichtigkeits“-Kanäle ständig ihre Pläne und
Hoffnungen, müssen dabei aber immer und das ist das komplizierte ihre
Glaubwu?rdigkeit behalten.
Ist nämlich das Risiko was ein Händler von „Wichtigtuerei“ einem anbietet zu
groß, ist also etwa die Ankündigung einer Ausstellung zu großsspurig, kündigt man etwa Kunstumstürzende, ach was, welterschütternde Ereignisse an, das ganze dann aber eben zum Beispiel bei Ölfrueh oder in der Kunsthalle Hamburg erscheint einem der Anbieter als Hasardeur – der Ausstellung ist damit geschadet.
Die untere Schwelle des selben Handels ist aber auch interessant: wird das
Risiko so gering dargestellt, dass es dem Abnehmer, dem Besucher der
Ausstellung, nicht wehtut auch nicht zur Ausstellung zu kommen und es
demnach völlig egal ist, wird der Ausstellung auch geschadet und der Händler von „Wichtigtuerei“ hätte sich disqualifiziert. Das irre an dieser Handelstätigkeit besteht vor allem darin, dass man als Händler solcher Informationen immer abschätzen muss wie lange der Ware selbst und dem Hersteller also dem Künstler zu trauen ist, oder ab welchem Zeitpunkt beide unter der Last der auf sie gehäuften Attribute also Kredite zusammenbrechen müssen.
Es handelt sich bei dieser „Wichtigtuerei-Handels-Tätigkeit“ um
kommunikativen Kredit und auch noch um vernetzten Kredit. Denn ich als
Kunstbetrachter mache mir durchaus etwas daraus was andere
Kunstbetrachter von dem gleichen Angebot halten. Es geht also um
Anerkennung bevor man auch nur ein Fitzelchen Kunst gesehen hat.
Dramatisch ist hierbei, dass man bei dieser „Wichtigtuerei“ gefahrläuft seine
Intelligenz preiszugeben, da einem, wenn man alles immer bis kurz vor die
Hasardeurslinie aufbläht, das Vermögen abhanden kommt etwas nüchtern zu
betrachten und die eigenen Möglichkeiten realistisch einzuschätzen. (Man
kann das besser und in anderem Zusammenhang bei dem Soziologen Dirck
Baecker nachlesen (z.B. Womit handeln Banken, Suhrkamp), aber ich folge
auch im Weiteren noch eine Weile seiner Denke.)
Wenn man jetzt mal auf die spezielle Situation dieser Ausstellung zu
sprechen kommt, also: Keine rasend komplizierten Herrschaftsverhältnisse,
keine unübersehbare Vielzahl an Akteuren die Interessen neben der
Ausstellung verfolgen, wie etwa das Renommee der Institution zu stärken,
einen Artikel beim Kunstforum unterzubringen, ein Schnäppchen zu machen,
einen Sammler abzugreifen und was dergleichen mehr sein könnte. ... Dann
könnte man für diese Ausstellung eine andere finanzpolitische Maxime
ausgeben. Nämlich: „Interessen werden niemals lügen“, Diese Maxime
entstammt dem 17ten Jahrhundert und damals war es wirklich weniger
Kompliziert.
Dabei handelt es sich um die Annahme, dass man die Anderen, in diesem
Fall also die 18 hier ausstellenden Künstlerinnen, als ihrer Entscheidungen
Mächtige also aus eigenen Interessen Handelnde beobachten kann. Die
Situation ist also nicht so verzwickt wie im internationalen Kunstzirkus,
sondern es ist möglich durch Beobachtung und Analyse der jeweiligen
Einzelinteressen und Werke hinter die Maske des Gegenübers zu schauen.
Das ist zugegebenermaßen jetzt auch sehr modellhaft, denn man kann nicht
völlig von dem Irrsinn der einen umgibt abstrahieren und sich nur der Sache
widmen, aber es wäre die Erfüllung der Maxime.
Auch hier wird kommunikativer Kredit gegeben aber der Grad der Vernetzung
ist nicht so kompliziert, der Kredit ist also „sicherer“. Denn es handelt sich hier um Physisch gedeckte Interessen. Es ist das genuine Interesse an der eigenen Arbeit und Interesse an der Arbeit der Kollegen, ausgeführt von Personen die sich zumindest für diese Konstellation schlicht genug benehmen, solche isolierten Interessen überhaupt noch zu haben. Man bemüht sich hier darum, nur die Sache zu meinen und nicht sofort wieder diesen Wahnsinn der Zukunftsspekulation in Gang zu setzen.
Apropos die Sache selbst, stelle ich zum Schluss noch einen weiteren Gast
dieses Nachmittags vor, es ist ein Bild von Gustav Mechlenburg, der hier und
heute zum allerersten Mal ein Bild aus den 80er Jahren zeigt. Ich würde mal
sagen, dass es sich dabei um die psychedelische Phase des bisher,
zumindest als Künstler, völlig Unbekannten handelt, seht selbst. Man kann
gespannt sein in welchem Zusammenhang ein weiteres Bild gezeigt werden
wird.
Ich bedanke mich für die Einladung und wünsche gute Unterhaltungen mit
Blick hinter die Maske des Gegenübers.