Renata Palekcic Pasel

Past Time Paradise


zu den Papierarbeiten von Renata Palekcic

Die in sich gewundenen, von der Decke hängenden Stränge bilden ein Dickicht. Es bietet einen Rückzugsort, lädt, fern vom hellen Trubel des es umgebenen Ausstellungsgeschehens, ein, zu Kontemplation und Besinnung. Es ist ein Paradies, ein "past time paradise", wie die Künstlerin Renata Palekcic diese Rauminstallation aus 49 etwa vier Meter langen, schlauchähnlichen Papierkörpern nennt, die sie im Herbst 2018 im Künstlerhaus Faktor in Hamburg im Rahmen einer Gruppenausstellung präsentierte. An mehreren Stellen vertikal eingeschnitten, fächern sich die Gebilde in kleinere Einheiten auf, nicht durchtrennte Inseln halten die gestreckten Objekte zusammen. In der grün-braunen Farbigkeit des recycelten Papiers, erinnern sie an die riesigen Tangwälder im Ost- und Nordpazifik, wo Hunderte von Braunalgen bis zu 60 Meter lange Stränge ausbilden können. In der Strömung wiegen sie hin und her - für unzählige Stachelhäuter, Weichtiere und Würmer bieten sie ein vor Fressfeinden schützendes Habitat. Diese meditative Ruhe vermittelt sich auch hier. Die Besucher scheinen fast magisch von diesem Dickicht angezogen, wollen in ihm untertauchen, es berühren und seinem Rascheln lauschen.
Im Atelier der Künstlerin sind weitere Arbeiten aus Papier zu sehen. Auffällig ist ein Objekt an der Wand, bestehend aus zahlreichen braunen Pappstreifen. Sie sind zu Hunderten um ein Metallgerüst gewunden. Wieder werden Assoziationen ans Meer geweckt, an getrocknete Algen oder Seegras, wie man es oft an Küsten und Häfen als Bewuchs an Tauen und Ankerketten vorfindet. Ein weiteres Werk "Ohne Titel" ist an den Ecken mit Metallklammern an der Wand befestigt. Es handelt sich um eine Bahn aus dickem, weißen Papier, das, wie schon "past time paradise", im Abstand von etwa 0,5 Zentimetern Schnitte aufweist, diesmal auf horizontaler Ebene. Diese Cuts verlaufen von den Rändern bis zur Mitte und lassen ein zentrales Areal unberu?hrt. Die Zerschneidung des Papiers bewirkt, dass sich die vormals glatte Fläche nun zu einem dreidimensionalen Körper wölbt. Was einst glatt, plan, zweidimensional war - ist nun ein Objekt, ein Raum im Raum mit einem "Innen" und "Außen". Der Philosoph Gilles Deleuze hat sich intensiv mit der Theorie der "Falte" auseinander gesetzt. Für ihn sind sie "unscharfe Objekte", die als komplexe und manchmal zufällige Formen ununterscheidbare Zonen nicht nur verbildlichen, sondern auch verräumlichen. Eine Falte - und nichts anderes sind Palekcics gewölbte Körper aus Papier - organisiert die Fläche im Raum, hält Grenzflächen in einem flüchtigen, prekären Zustand. "Ein Außen, ferner als alles Äußere, 'dreht sich', 'faltet sich', 'verdoppelt sich' um ein Innen, tiefer als alles Innerliche, und macht allein die abgeleitete Beziehung des Innerlichen mit dem Äußerlichen möglich. Es ist sogar diese 'Drehung', die das 'Fleisch' jenseits des eigenen Körpers und seiner Objekte definiert."(1) Tatsächlich verwendet die Künstlerin selbst den Begriff des "Körpers" und meint damit in erster Linie den weiblichen. Je nachdem wie man beispielsweise auf das oben beschriebene, weiße, gewölbte Objekt blickt, beobachtet, wie Licht und Schatten die Oberfläche modulieren und sich die Ränder der Figur an die Wand schmiegen, lassen sich Wölbungen eines Frauenkörpers assoziieren.
Zudem sind es die Reisen, in die Naturparadiese dieser Welt, welche Inspirationsquellen für ihre Arbeit darstellen. So wecken die Einschnitte, mit denen sie die Oberfläche des Papiers strukturiert, auch Erinnerungen an Sandverwehungen. Mehrmals besuchte Palekcic Sandwüsten in Tunesien und Libyien, tauchte ein in diesen weiten Raum, ließ sich von ihm in Gänze absorbieren, um Teil dieser lebensfeindlichen, aber eben auch wunderschönen Landschaft zu werden. Es sind die dort teilweise verschobenen Sinneseindrücke und Wahrnehmungen - hervorgerufen durch die Stille, den starken Lichteinfall, extreme Temperaturschwankungen, den instabilen Untergrund - die gewohnte Gesetzmäßigkeiten auf den Kopf stellen. So wie es auch die Arbeiten Palekcics tun.

(Christiane Opitz, 2019)

1) Gilles Deleuze, Die Falte. Leibniz und der Barock. Frankfurt a. M., 1992, S. 154f